Schulreden am Alten Gymnasium Oldenburg. Oldenburg: Isensee Verlag, 2023. Rezension

Schulreden am Alten Gymnasium Oldenburg. Beiträge zu seiner 450-jährigen Geschichte. Hg. v. Markus Drüding u. Matthias Hengelbrock. Oldenburg: Isensee Verlag, 2023, 176 S. 18,00 € ISBN 978-3-7308-1967-8. Rezensiert von Brigitte Klosterberg, Halle (Saale)

Es ist das Verdienst von Markus Drüding und Matthias Hengelbrock, Lehrer am Alten Gymnasium Oldenburg, einer Gattung eine Bühne zu bereiten, die sowohl im schulischen Umfeld als auch in der Forschung weitgehend unbeachtet geblieben ist: Schulreden, die – wie sie in ihrer instruktiven Einleitung hervorheben – zwar vielen Menschen geläufig sind, da sie sie selbst als Schüler und Schülerinnen erlebt haben, aber zu denen weder „eine systematische und in vergleichender Perspektive angelegte Untersuchung“ noch eine Bibliographie für den deutschsprachigen Raum vorliegt. Zu diesem Befund passt, dass es nur wenige diesbezügliche Textsammlungen und Abhandlungen jüngeren Datums gibt. Der von Angela Richter 2013 in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig herausgegebene Band Inszenierte Bildung. Historische Festreden als Spiegel protestantischer Schulkultur stellt eine Ausnahme dar. Umso erfreulicher ist es, dass dank der recht guten Überlieferung am Alten Gymnasium Oldenburg aus Anlass des 450. Schuljubiläums 2023, das in der Landesbibliothek Oldenburg auch mit einer Ausstellung und einem Ausstellungskatalog gewürdigt wurde, 18 Schulreden in einem Band des Isensee Verlags abgedruckt wurden. Die Herausgeber haben die Schulreden aus dem Zeitraum von 1747 bis 2018 nach Rednern – elf Reden von Lehrern, drei Reden von Schülerinnen und Schülern, drei Reden von Eltern – geordnet und jeweils mit einer Kurzbiografie eingeleitet.

Drüding und Hengelbrock weisen darauf hin, dass Schulreden in der Frühaufklärung eine eigene Gattung innerhalb der Rhetorik bildeten und ab dem 19. Jahrhundert einen zunehmenden Bedeutungsverlust erlitten, wenn sie auch in den kursierenden Schulprogrammen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts noch vielfach dokumentiert wurden. Zu Recht heben die Herausgeber hervor, dass die zahlreichen Abschlussreden von Schülern in der Frühen Neuzeit fehlen und die Rede des späteren Pädagogen und Philosophen Johann Friedrich Herbart (1776–1841) von 1793 – übrigens seine erste publizierte Abhandlung – als „Überlieferungszufall“ einzuschätzen ist. Auch hier tut sich ein unbeackertes Forschungsfeld auf. Sofern die Einladungsschreiben zu den Schulfeiern aus dem 18. Jahrhundert überliefert sind, nennen sie immerhin die Namen der Schüler und die Titel ihrer Reden – ein Fundus, der systematisch erhoben und ausgewertet werden könnte. In den Reden der Direktoren Johann Michael Herbart (1703–1768) von 1747, Johann Siegmund Manso (1731–1796) von 1777 und Friedrich Reinhard Ricklefs (1769–1827) von 1814 werden die Namen der Schüler, die zur Universität abgingen, und die Themen ihrer Abschiedsreden explizit genannt.

Da diese Rezension auf dem Blog bibliotheca.gym erscheint, soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Band auch Hinweise auf die Schulbibliothek des Alten Gymnasiums enthält. So erfährt man aus der Kurzbiografie von Johann Paul Ernst Greverus (1789–1859), der ab 1827 27 Jahre lang die Schule leitete, dass seine Bibliothek von 3.000 Bänden den Grundstock der Schulbibliothek bildete (S. 80). Der Direktor Jens-Peter Green (*1950) fragt in seiner Ansprache von 1999 nach der Erziehung im humanistischen Geist? Er führt dabei aus, dass für die Lehrerbücherei bereits 1934 nationalsozialistische und rassistische Titel angeschafft wurden „[…] und dies unter der Leitung eines Direktors, der als Humanist alter Prägung […] seine Schüler ständig zu kritischer Einstellung aufrief“ (S. 98).

Fragen der Moral und der Werte werden in zahlreichen Schulreden thematisiert, aber auch Fragen der Schulreform und der pädagogischen Grundsätze, der Unterrichtsziele und -inhalte. Zudem geben die Reden Aufschlüsse über die Rolle der Schule in ihrem regionalen Umfeld und über die jeweiligen Zukunftsvorstellungen: von der Fortschrittsgläubigkeit der Aufklärung zu einer zunehmenden Ernüchterung und Skepsis im 20. und 21. Jahrhundert. Dabei werden sowohl Brüche als auch Kontinuitäten in den pädagogischen Diskursen, aber auch den Wertvorstellungen sichtbar. Die Aussage von Johann Siegmund Manso in seiner Schulrede von 1777 „[…] es bleibt also eine der ersten Pflichten eines Schullehrers, frühzeitig die Denkungskraft in jungen Leuten auszubilden“ (S. 44) hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Dies gilt auch für die nachdenklichen Sätze der damaligen Abiturientinnen Dörte Zink (*1975) und Christina Lukas (*1976) von 1995: „Ich glaube, wir heute haben große Schwierigkeiten, in wenigen Worten unsere Vorstellungen von der Zukunft zu formulieren. Dazu sehen wir uns mit zu vielen Problemen konfrontiert, für die keine Lösung auf der Hand liegt. […] Das kann Gleichgültigkeit zur Folge haben. Es besteht zum anderen die Tendenz, sich Vereinigungen anzuschließen, die ein geschlossenes Weltbild und greifbare Werte und somit Geborgenheit vermitteln. Damit müssen nicht nur fundamentalistische Strömungen in der fernen islamischen Welt oder glatzköpfige Rechtsextreme gemeint sein. Auch in unserem alltäglichen Leben begegnen wir solchen Gruppierungen. […] Ich denke aber, daß unsere Schulbildung das eine auf jeden Fall vermittelt hat: uns und unsere Weltanschauung kritisch zu hinterfragen und vor allem einfachen Scheinlösungen nicht zu trauen. Und das ist von großer Bedeutung!“ (S. 139–140).


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Brigitte Klosterberg (17. April 2025). Schulreden am Alten Gymnasium Oldenburg. Oldenburg: Isensee Verlag, 2023. Rezension. bibliotheca.gym. Abgerufen am 20. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13ru4


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